1.

Bausubstanz

Wenn wir eine Bausubstanz ansehen oder beurteilen, dann reden wir über ihre augenscheinlichen Erscheinungsformen, respektive ihre Schönheit. So enden bautechnische Gebilde nicht selten in kategorisierten Stilbeschreibungen. Wie diese Stile sich kulturgeschichtlich entwickelt haben, ist meist eine sehr komplexe Geschichte, die sich über Jahrhunderte spannt. Unzählige Faktoren haben dabei ihren Einfluss genommen, viele sind kaum noch nachzuvollziehen, manche sind eher technischer, andere wirtschaftlicher oder gar soziologischer Natur. 

Wir konzentrieren uns im folgenden hauptsächlich auf den materiellen und bautechnischen Gesichtspunkt. Unsern Fokus setzen wir dabei auf die wärme-sensiblen Strukturen die in diese Baustile integriert sind. Gerade aus Sicht der Globalisierung ist dieser Bereich im letzten Jahrhunderten einer extremen Dynamik ausgesetzt worden. Völlig neue Ressourcen und Technologien kristallisierten sich zu neuartigen wärmetechnischen Funktionen und Formen. Ergänzt durch eine weltumspannende Logistik hat sich der ganze Baumarkt völlig neu strukturiert.

 

a)

Traditionelle Materialien

Im traditionellen Hausbau spielte sich der Baumarkt meist regional begrenzt ab. Bauressourcen waren kaum überregional transportierbar und die Verarbeitung der Baumaterialien geschah handwerklich vor Ort und nicht industriell zentralisiert. 

Ressourcen

Über weiteste Teile der Menschheitsgeschichte hinweg ist die Palette der Baumaterialien sehr begrenzt gewesen. Das Bauhandwerk war reine Handarbeit, es fehlten mechanisierte Methoden zum Abbau und zur Aufbereitung von Rohstoffen. Diese Rohstoffe mussten leicht verarbeitbar sein und in verbauter Form robust und beständig sein. Die Hauptressourcen beschränkten sich hauptsächlich auf

  • Holz
  • Lehm
  • Stein                        
  • Stroh
  • u.ä.
Logistik

Bau-Ressourcen waren ihres Volumens und Gewichtes wegen sehr schwer transportierbar. Ein Haus zu erbauen war allein logistisch gesehen schon eine Herausforderung. Allenfalls Orte an topographisch günstiger Verkehrslage oder an geeigneten Wasserstrassen hatten eine grössere Auswahl erleichterte Verfügbarkeit an Gütern. Gäbe es die Cheopspyramide ohne den Nil ?

Es erstaunt daher nicht, dass weltweit die grundlegende Bausubstanz jeweils geprägt ist von einheimischen, leicht zu gewinnenden und somit günstigen Baumaterialien. Transport und Marktlogistik waren nicht dazu imstande grosse Mengen und Lasten überregional wirtschaftlich anzubieten. Vor der Industrialisierung waren es also hauptsächlich regional abgebaute Rohmaterialien, lokal gewachsene Hölzer, und rudimentär verarbeitete Lehme, die dann in traditioneller Handwerkskunst zu typischen einheimischen Konstruktionen und Formen hochgezogen wurden.

Weltweit waren also Dörfer und Städte eigentliche Abbilder ihrer regionalen Bau-Ressourcen. Erst die Industrialisierung mit ihrer wachsenden Verkehrsleistung hat dann schliesslich die Baumärkte geographisch geöffnet und schliesslich globalisiert.

Verarbeitung

Die Gewinnung und Verarbeitung von Baumaterialien verlangte grundlegende Handwerkskompetenzen. Diese waren abgestimmt auf die regionalen Bautätigkeiten. Die Entwicklung von Konstruktionstechniken und Methoden wurden hauptsächlich durch die Verfügbarkeit von Bauressourcen gefördert.

Das ganze Wissen und Werkzeuge wanderten schliesslich überregional zu wichtigen exotischen Baustellen. Dies waren in vergangenen Jahrhunderten Kirchen und Kathedralen, wo unübliche Dimensionierungen und Konstruktionsmethoden importiert wurden.

Der heutige Handwerker hat sich zum universellen Monteur gewandelt, der Halbfabrikate und Produkte zu einem ganzen zusammenfügt. Die elementaren Handwerkskünste sind allenfalls noch in spezialisierten Bausegmenten und Restaurierungen anzutreffen.

 

Holz

b)

Funktionen

Die Funktionalitäten eines Baukörpers waren meist abgestimmt auf die klimatischen Realitäten, wie auch auf die wirtschaftlichen und kulturellen Eigenschaften einer Region. Einerseits waren dies klassische Schutzfunktionen, andererseits Nutzfunktionen, die landwirtschaftlichen und gewerblichen Ansprüchen genügten. Vorherrschende klimatische Faktoren waren:

  • Wind und Wetter
  • Schneelast
  • Frostresistenz
  • Klima-Schutz

Diese klimatischen Belastungen werden geprägt von regional vorherrschenden Wetter- und Klimabildern. Diese wird gepaart mit den Eigenheiten der lokalen topographischen Exponierung : 

  • Höhenlage
  • Ausgesetzte Windlage
  • Sonnen-/Schattenlage

Je extremer die klimatisch bedingten Anforderungen sind, desto enger sind sie an die fundamentalen wärmetechnischen Eigenschaften der Materialressourcen gekoppelt.

Baukombination

c)

Baustile

Die über Jahrhunderte gemittelten Erscheinungsformen nimmt der Mensch schliesslich in der Retrospektive als "Baustil" wahr. Die charakteristischen Merkmale eines klassischen Baustils sind einerseits geprägt von baulogistischen und klimatischen Faktoren, andererseits von sozialhistorischen Ereignissen. Solche epochalen Baustile können bisweilen sehr komplexe kulturelle Wurzeln haben, die zwar schwer einsehbar aber sehr schön anzusehen sind.

Bei lokalen Baustilen deren die Korrelationen zu klimatischen und materiellen Zwängen dominiert werden, sind auch für den kulturgeschichtlich ungebildeten Betrachter oft leicht zu erkennen. Meist spiegeln sich in der Konstruktion baulogistische und wärmetechnische Zwänge wieder: 

  • Mauerdicke
  • Winddichtheit
  • Fenstergrösse
  • Raumhöhe

Über Jahrhunderte vermittelte Erfahrungswerte übersetzt in ortstypischer Baumethodik prägte bei Baumeistern und Handwerkern ein vertieftes Wissen. Ob schliesslich massive Gemäuer in arabischer Wüste oder gestrickte Holzhäuser in Alpentälern, - diese traditionelle Baustile haben stets tiefe zeitgeschichtliche Wurzeln. So wie sich über Jahrhunderte hinweg die klimatischen Gegebenheiten kaum veränderten, so stabil ziehen sich auch diese rudimentären Baustile über die Zeit hinweg.

Erst die Industrialisierung, Manufakturen für Baumaterialien und schliesslich die weit und robust ausgebaute Transportlogistik entflocht langsam diese harmonisch gewachsene Symbiotik zwischen mechanischer Materialeigenschaft und ihrer innewohnenden wärmetechnischen Funktionalität. 

Diese rapide globale Entwicklung lieferte der Architektur neue Freiheiten in der Wahl und Kombination von Baumaterialien und Bautechniken. 

Dies wiederum separierte die Formgebung zunehmend von wärmetechnischen Zwängen. Eine neue Epoche der Baugeschichte hat sich aufgetan.

 

Repräsentation