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Wärmeschutz

Wie wichtig war in früherer Zeit die wärmetechnische Funktion der Behausung?

In früheren Jahrhunderten, so scheint es, war das Leben wärmetechnisch gesehen in der Regel weniger komfortabel als heute. Andererseits können wir uns vorstellen, dass sich der Mensch im Alltag und bei der Arbeit mehr bewegte und gegenüber Wärme- und Kälteeinflüssen allgemein abgehärteter war. Der Wärmehaushalt des eigenen Körper war demzufolge stabiler und robuster . Offene Feuerstellen, Temperament und Bewegung bildeten damals eine dynamischere Lebensmischung, die den Wärmehaushalt des Menschen auf Trab hielten. Die rudimentären Erscheinungsformen von Wärme waren somit weniger technisch ausgeprägt, sondern viel praktischer und lebensnahe im Alltag integriert.

Die künstlichen Wärmequellen - vorab Feuerstellen - waren in der Regel punktförmiger Natur und vermittelten genau dort Wärme, wo sie schliesslich brannten. Wärme war eng mit Kochen, Mahlzeiten, sozialem Zusammensein und Kommunikation verknüpft. Der Herd, - zumeist eine offene Feuerstelle - war der Wärme-Mittelpunkt des Haushalts. Es wurden also kaum ganze Strukturen und Häuser geheizt, sondern meist nur einzelne zentral bewohnte Räume.

Das Haus, - respektive die Wohnstruktur - war insofern nicht als hermetische Hülle zu verstehen, die Innen und Aussen wärmetechnisch klar getrennt hätte. Vielmehr war diese ausgedehnte Materialhülle eine ausgedehnt vermittelnde Struktur zwischen wärmetechnischen Extremen. Von aussen kam der globale klimatische Angriff, - und irgendwo im Innern hauste ein punktförmiges wärmendes Rückzugselement. Das eigentliche Wärmeverhalten traditioneller Gebäudestrukturen hatte also keinen hermetischen Charakter. Konstant geheizte Raumtemperaturen gab es nicht. Der Mensch wusste nicht was eine geregelt konstante Raumtemperatur von 20 Grad Celsius sein sollte. Die ideale Raumtemperatur als ein Mass für ein konstantes Wärmemedium Luft war im Bewusstsein nicht existent.

Es wäre aus heutiger Sicht bestimmt interessant durchs Mittelalter reisen zu können, - die Leute deren Wärmegefühl zu erfragen und deren herrschenden Raumtemperaturen zu messen.

a)

Isolation

Wärmeisolation war in erster Linie eine auf den Menschen bezogene, körpernahe Angelegenheit. Die erste Isolationsschicht war also die eigene Kleidung, danach ein Überwurf und schliesslich die Decke zum schlafen. 

Um sich von kalten Baukörpern abzugrenzen, benutzte man "isolierende Unterlagen", indem man seinen Körper zum Beispiel mittels Strohsäcken oder Kissen gegen kalte Böden und Möbel abkoppelte.

Der abstrakte Begriff "Isolation" als globale wärmetechnische Hülle in der Gebäudestruktur war früher also praktisch nicht vorzufinden. Eigentliche bautechnisch hermetische Isolationsschichten sind eher technische Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. 

  • Kleider

    Direkte Körperisolation ist so alt wie der Mensch selbst. Vom zugeschnittenen Tierfell bis zum massgestrickten Wollkleid ist uns diese technische Hülle noch heute dienlich. Das Prinzip liegt darin, sich mit "strukturierten Luftpolstern", einzuwickeln. Da eben Luft die Wärme schlecht leitet sind in Wolle und Stroh eingeschlossene Luftkörper eine ideale Isolationsschicht, die oft sogar noch atmungsfähig ist. So ist ein gestricktes Wollkleid klimatechnisch gesehen noch heute ein hochmodernes Isolationskleid. 

  • Isolierendes Mobiliar

    Die klassische Strohmatratze als Schlafunterlage ist eigentlich der Inbegriff des heutigen Verständnis einer kompakten starren Isolationsschicht. Der Mensch war praktisch veranlagt, und imitierte nicht zuletzt die Vorlagen aus der Tierwelt, wo uns Nestbauten seit eh und je isolationstechnisch perfekte Strukturen aufzeigen.

  • Isolierende Strukturen

    Was Behausungen anging, war das menschliche Verständnis von Wärmekonservierung eng assoziiert mit den Dimensionen ihrer Struktur. Je dicker und massiver die Struktur gebaut war, desto widerstandsfähiger war die Hülle gegen die Witterung. Je kleiner der Raum, desto wärmer. Hierfür steht die gemütliche warme Stube, ein kleiner Raum in Holz mit oft tief herabhängender Decke.

    Schaut man genauer hin, dann finden sich schon früh in der Geschichte strukturierte Wärmeisolationen. In Bauernhäusern grenzte das Heulager nicht selten an bewohnte Räume. Diese Kombination von innen liegender Holzwand und aussen anliegender Heuschicht entspricht in seiner Kombination exakt einer "aussen isolierten" Wand. Im Rhythmus der bäuerlichen Bewirtschaftung füllte sich der Heustock zu Winterbeginn bis unter das Dach und warf dem Bauernhaus eine kompakte Decke über. Gegen den Frühling hin wurde Heu verfüttert, womit sich die Isolationsdecke stetig lichtete.

Es war also nie die abstrakte Eigenschaft "Isolationswert", die dem Menschen den Wärmekomfort einer Behausung in früheren Zeiten widerspiegelte, sondern ganz pragmatische Erfahrungswerte.

Da eine Wohnstruktur früher materialtechnisch selten winddicht ausgeführt war, ist der eigentliche Isolationswert eines Gebäudes auch nicht so signifikant in Erscheinung getreten, wie es heutzutage der Fall ist bei hermetisch abgedichteten Wohnräumen.

 

Strohsack
Struktur

b)

Wärmespeicherung

In früheren Zeiten wurde massiver gebaut, zumal armierter Stahlbeton, geleimte Hölzer und Schraubverbindungen noch kaum existierten. Ein wesentlicher Teil der Baumasse eines traditionellen Hauses fand sich also in seiner Hüllenstruktur:

  • in den Fundamenten
  • den Grundmauern
  • Aussenwänden
  • Feuerstellen

In klassisch traditionellen Bauweisen entsprechen fundamentale Baustrukturen meist auch den statisch tragenden Elementen. So gesehen haben diese gegen Aussen abgrenzenden Elemente meist eine sehr robuste und massiv gebaute Struktur. Fundament, Gürtel und Dach sind somit statische Schlüsselelemente. In diesen Bauelementen, die den Menschen über Jahrtausende vor Wärme und Kälte schützten, war also traditionell meist viel Baumasse verbaut.

Die dichten Baustoffe sind physikalisch gesehen sehr gute Wärmespeicher. Dies bedeutet, dass pro Temperaturanstieg sehr viel Wärmeenergie im Material eingespeichert wird. Bei Abkühlung des Materials wird diese Wärme wieder freigegeben. Diese ausgeprägte Speicherfähigkeit stabilisiert als zeitlicher Wärmepuffer das wärmetechnische Gleichgewicht.

In rauem Klima war zudem auch die mechanische Beanspruchung hoch und verlangte Standfestigkeit gegenüber Wind und Wetter, Schneelast und Frost. Je härter das Klima, desto massiver wurde gebaut. Dies bedeutet, dass automatisch mehr Wärme-Speichermasse eingebaut war. Gerade in den Übergangszeiten kommt dem Menschen diese massive Bauweise zugute. 

Schliesslich finden sich diesbezüglich drei charakteristisch exponierte Strukturen:

  • Das Dach

    Ein Stein- oder Ziegeldach dämpft die tageszeitlichen Wärmeschwankungen. Direkter Sonnenstrahlung und nächtlichem Sternenhimmel ausgesetzt beträgt die Amplitude zwischen den Tag und Nachtextremen schnell mal über fünfzig Grad Celsius.

    Durch seine mittelnde Funktion werden die Tag-Nacht Extreme schon an der Aussenhaut durch die Ziegel gebrochen.

  • Die Fassaden

    Gerade in der traditionellen Architektur hat- wie schon erwähnt - die Aussenstruktur wärmetechnisch gesehen einen ausgeprägt vermittelnden Charakter. Sie nimmt die Temperaturschwankungen der Witterung auf. Die Witterung ist ein Konglomerat aus Wind, Strahlung, Feuchtigkeit und eigentlicher Lufttemperatur. Die massive, speicherfähige Hülle bewirkt, das sich die harten Witterungszyklen zeitlich gedämpft gegen innen durchschlagen. Gerade in den wechselhaften Übergangszeiten erhält diese Hülle ihre überzeugende Rolle als Vermittlerin.

  • Das Parterre

    Der Boden als zentrale Speichermasse zeigt im harten Winter eine ausgleichende Wirkung. Diese erdgebundenen Wärmespeichermasse zeigt durch ihre "bodenlose" Tiefenwirkung einen extrem ausgedehnten Speichereffekt. Anders als Dach und Gürtel ist diese Wärmemasse nicht direkt den Witterungsbedingungen ausgesetzt, sondern direkt an die stark gemittelte saisonale Temperaturschwankung der Erdoberfläche gekoppelt.

 

Der passive Wärmehaushalt von traditionellen Gebäudestrukturen ist also von Natur aus grossen Belastungen unterworfen. Hier wirkt das Speichervermögen der Baumasse latent ausgleichend. Es pendeln sich Struktur bedingte Wärme-Gleichgewichte ein, abgeschirmt von den klimatischen Extremen, die an der Aussenhaut sich erstmal brechen.

Schwere Gebäude mit viel Wärmespeicherkapazität haben wärmetechnisch gesehen also einen trägeren Wärmecharakter. Diese Trägheit hat die Eigenschaft, Wärme über die Zeit zu speichern. Das Speichern kann somit zeitlich betrachtet als eine Art klimatische Überbrückung aufgefasst werden. 

Mauern

c)

Wärmecharakteristik

Die Gebäudestruktur hilft also dem Menschen die Extreme zeitlich zu überbrücken. Die Dynamik der klimatischen Verhältnisse wird gegen innen spürbar abgeschwächt. Je massiver die Bausubstanz, desto träger steht die ganze Struktur wärmetechnisch inmitten der klimatischen Fluktuationen. Der Speichereffekt massiver Bauweise ist also nicht nur substantiell gesehen ein gefässartiges Wärmespeicher, sondern auch ein zeitverzögerndes Element, das uns Wärmeenergie in latenter oder wahrnehmbarer Weise zu späterer Zeit zurück liefert. Diese Trägheit passt schliesslich zum zyklischen Lebensrhythmus des Menschen, der sich tapfer durch den Tag, die Wetterperioden und schliesslich die saisonale Zyklen schlägt.

  • Das Fassungsvermögen des Wärmespeicher

    Die Speicherfähigkeit einer Struktur pro Temperaturänderung steigt linear mit seiner Masse. Je dicker eine Wand ist desto mehr Wärme kann "eingelagert" werden. Diese Beziehung zwischen Strukturvolumen und Wärmespeichermenge ist linear.

  • Die zeitliche Trägheit

    Betrachtet man nun den zeitlichen Verlauf dieses Ladevorgang, dann merkt man schnell dass hier der Ladevermögen zeitlich nicht linear abläuft, sondern exponentiellen Ladecharakter hat. Ohne hier gross in die Theorie zu verfallen, merken wir uns, dass wir immer weniger zusätzliche Materialdicke brauchen um viel tiefer in den Zeithorizont hinein zu tauchen.

    Eine doppelt so dicke Wand gibt uns vier mal so viel Zeit.

    Eine dreimal so dicke Wand gibt uns vielleicht neunmal so viel Zeit.

    Am einfachsten ist die homogene Wandstruktur zu beschreiben: Hier wächst die Ladezeit mit dem Quadrat zur Dicke der Schicht. Eine doppelt so dicke Wand braucht also vier mal länger sich zu laden. Diese exponentielle Ladecharakterisitk hat einen ausgleichenden Effekt auf jegliche Schwankungen die über diese Substanz einwirken. Dieses quadratische Verhältnis von Struktur und Zeit hat man schon früh intuitiv verstanden.

     

Diese zeitliche Betrachtung erlaubt es uns erst, den zyklischen Ladeprozess etwas abstrakter wahrzunehmen. 

Der vorindustrialisierte Mensch hat speziell in Regionen mit gemauerten Gebäuden den Speichereffekt in der zeitlichen Dimension geschätzt und genutzt. Der strenge Winter brauchte lange, bis er ins Haus hereingekommen war. Ebenso zeigte sich, dass die sommerliche Hitze sehr lange brauchte, um die dicken Mauern südlicher Steinhäuser zu durchdringen. Typisch für dieses Verständnis sind Dörfer in südlichen heissen Ländern: Erde und Grundmauern halten hier in tiefen Gassen ihre gespeicherte Kühle. Die Sonne mag kaum herab in die tiefen Häuserschluchten und die geschlossenen Läden verhindern das Eindringen von warmer Luft und Lichtstrahlung in die geschützten Innenräume . Die Wärmearchitektur wurde hier also schon vor Jahrtausenden meisterhaft betrieben.

Wir werden später sehen, dass eben gerade diese exponentielle Charakterisitik des zeitlichen Wärmespeicherablaufs verantwortlich ist für eine robustes Wohnklima.

Thermische Trägheit